Unser Sohn ist zu Besuch. Beim Abendessen sprechen wir darüber, wie schön ich doch das tägliche Zu-Bett-Geh-Ritual empfunden hatte, als unsere Kinder noch sehr jung waren. Ich bade mich in wohliger Erinnerungen ob der unzähligen vorgelesenen Kinderbücher. Mein Sohn schweigt, um dann plötzlich zu erklären, er könne sich daran kaum erinnern. Ich bin fassungslos, gehörten doch diese Vorlese-Kuschel-Stunden zu meinen Lieblingsbeschäftigungen mit den Kindern.
Die ersten Jahre der Kindheit prägen uns, aber die meisten von uns haben fast alles vergessen. Der Sohn ist das beste Beispiel dafür.
Diese kleinen Menschen verschwinden eines Tages, sie verwandeln sich in etwas anderes und wissen nicht mehr, wie sie waren und wie sie gelebt haben. Sie wissen nichts mehr vom ersten Sommer am Kolmitzenbach, nichts mehr von den langen Spaziergängen entlang der verwilderten Bahntrasse, nichts mehr von ihrer Wut, ihrer Freude und Ihrer Zärtlichkeit. Es gibt für sie Wichtigeres.
In den Köpfen der Eltern leben sie weiter. Man vergisst sie nie. Und es bleibt immer ein leiser Schmerz, wenn man an die bedingungslose Liebe denkt, die sie damals empfunden haben und die man ebenso bedingungslos zurückzugeben versucht hat. Niemals in unserem Leben waren wir so wichtig, für niemanden.
Und jetzt sitzen wir beim Abendessen und nur Eine erinnert sich.
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