Melde

rote Gartenmelde

Die wächst heuer wieder einmal ohne unser Zutun. Und findet durch die ansprechende Farbe Platz in nur allen erdenklichen Speisen. Salaten, Saucen.
Ich höre davon, dass die grüne Schwester dieser Unerschütterlichen gleich nach dem Krieg Hauptnahrung war. Ein Unkraut, das auf dem Schutt zerbombter Häuser wucherte. Leitet sich daher das Wort „unerschütterlich“ her? Unerschütterlich vor sich hinwachsend?

Heuer sehen die Gärten, in die ich schauen darf, besonders ausführlich umsorgt aus. Und jede Gärtnerin, jeder Gärtner verfolgt Lieblingsstrategien: „Ich setze nun seit Jahren mehrere Wolfsmilchpflanzen gegen Wühlmäuse, das hilft allerdings überhaupt nicht!“,  erklärt mir der begnadete Gärtner. „Verwende weiße Lichtnelkenblätter für den Spinat, die schmecken dezent säuerlich-herb.“, empfiehlt mir die wildkräuterkundige Freundin. „Machen Sie in Zukunft Kraterbeete, damit sich der Tau sammeln kann!“  schlägt die Klimaforscherin aus dem Radio vor. „Ich hab mein Lebtag die Erdäpfel in eine Mulde gesetzt, diese erfolgreiche Idee hat mein Mann aus der Asten mit in die Ehe gebracht, erzählt die Minut Lisl. „Kein Baum wächst in den Himmel“, sagt meine Mutter.

Steinzeugteller

In meiner Werkstatt entsteht zur Zeit immer noch Gebrauchsgeschirr. Langsam und kontinuierlich an einem Lehm-Rund arbeiten, das ist Arbeits-therapie für eine an der Seele Ermüdete.

5. Mai

Sie blühen ins Nichts
Haltlos wie dünnes Gras
Sind ins Stocken geraten
Die brauchbaren Wörter
Des Trostes

Der innere Lärm
Macht Zärtlichkeit vergessen
Trotzen der Schwermut des Regens 
Die brauchbaren Wörter
Des Trostes

Den brauchbaren Wörtern des Trostes
Scheint die Sonne vergesslich, nachts
Da wir sie nicht sehen
Hört sie niemand
Sonst

Manfred Linhart

Stein

Heiliger Stein, Mitterretzbach

Ihm wird Heilkraft nachgesagt. Nicht bloß dem Ort, an dem er sich befindet, auch dem Stein selber. Soll ich meinen Kopf auf ihn legen, ihn umarmen, ihn konzentriert anschauen? Soll ich von ihm abbeißen, ihn abschlecken, ihn auskratzen und das Pulver in meinen Tee streuen?

Wir befinden uns 200 Meter von der Tschechischen Grenze entfernt. Alle Viertelstunde fährt ein Militärfahrzeug vorbei, um zu kontrollieren, dass unsereins nicht doch über die Grenze geht. Vielleicht kontrollieren sie auch unsere Distanz zueinander. 

Ich sehe eine Frau mit einem weißen Kopftuch in ihrem Vorgart’l jäten. Sie trägt das Kopftuch auf jene Art, wie es meine Großmutter getan hat – und Sophia Loren. In dieser Kulisse fühle ich mich um Jahrzehnte zurückversetzt.

Flache Teller

In meiner Werkstatt entsteht dieser Tage wieder einmal Gebrauchsgeschirr. Die Menschen sind hungrig nach Einzigartigem, Unverwechselbarem. 

Gartenzaun


Nachbarn zu haben hat immer mindestens zwei Seiten.
Man hat sie, ob man sie will oder nicht will. 
Sie haben einen, ob sie wollen oder nicht. 
Manchmal stellen sie dir gutes Essen mit dazu gelieferter Tischdecke vor die Tür, manchmal anderes.
Manchmal denke ich zum Beispiel an Viktor Orban, wenn ich an Nachbarschaft denke.
Manchmal summe ich das Lied, das Helmut Qualtinger so wunderbar interpretierte, direkt über den Gartenzaun: „A Rücksicht, a Nochsicht, do miassat i speib’n…“.  Den weiteren Text hier wiederzugeben, ist mir peinlich und gäbe Einblick in die Untiefen einer schwachen, einseitig fokusierten Seele. (Kann die Seele grantig sein?!)

Die Fenster jedoch, in Alternativen zu denken, stehen sperrangelweit offen: Höflich sein, Irritieren durch Freundlichkeit, eine kleine Reise unternehmen und lange weg bleiben, den Gartenzaun pink streichen, sich im Stillen Schönes vorstellen, anstelle des vorher zitierten Liedes „Yesterday“ anstimmen…

Heuer setze ich die Melanzanipflanzen zu den weißen Bohnen und den Kohlrabi zu den Roten Rüben: auf eine gute NachbarInnenschaft!

Karfreitag in Hühnerbergen

Schicht um Schicht
Umspült von seichtem Meer
Die fossile Wand
Zwölf Millionen Jahre später
Klagt ein fremdes Ich
Gehörmuschellang

Jerusalem hat kein Meer
Ausser das der Tränen
Wie schön die Stille
Ostern kommt glaubhaft
Ohne Glocken

Glaube versetzt keine
Berge im Laufen
Gegen diese Wand
Nur das Innehalten
Bewegt die See

Manfred Linhart

Alm

Stehen bleiben und schauen

Mich erzogen eine Handvoll Menschen, unzählige Pflanzen, Bäume, Wälder, die Bachlandschaften, ein paar wenige Tiere, vor allem Kühe und die Alm.
Lieben lernte ich von einer Handvoll Menschen, unzählige Pflanzen, Bäumen, Wäldern, der Bachlandschaften, ein paar wenigen Tieren, vor allem Kühen und der Alm. Daraus erwuchs mir meine Stärke, mit der ich für meine Täglichkeiten mein Auslangen finden muss. Alle miteinander haben gute Arbeit geleistet. Es ist genug da!

Das Laufen über Wiesen mit schwingenden Armen, das Trödeln in Mutters Näh-Werkstatt, dem Vater nur sehr widerwillig bei der anstrengenden Holzarbeit helfen, Laubhütten bauen, verbotener Weise im Bach herumklettern, Tollkirschen verkosten, beim Butterrühren nur Zuschauen dürfen, den Luxus sehr einfacher, geschmacksintensiver Lebensmitteln noch nicht zu schätzen wissen, nicht ahnen, dass man in ziemlicher Abgeschiedenheit lebt, es wäre auch bedeutungslos, den herb-rauchigen, kalten Duft von Schnee riechen und dabei glücklich sein, den Kühen vorsichtig Heu in den Futtertrog streuen und in riesengroße Augen blicken.

Der große Bruch erfolgt mit dem Eintritt in die erste sogenannte Erziehungsanstalt. Jetzt ist es aus mit Erziehung und Liebe. Ab diesem Zeitpunkt soll ich mir auf jeden Fall eher dumm, formbar, klein, gehorsam und noch nicht lebenstüchtig genug vorkommen. Es ist nie genug.

Warum ich gerade jetzt darauf zurück komme?
Weil ich mir in diesen Wochen des Rückzuges so vorkomme, als ob ich wieder auf der Alm lebte, nur ohne Alm. 

Diese ganze unabsehbare Vergangenheit hat die Rolle mitgezeichnet, die mir aufgegeben ist. In nur sehr kleinen Schritten verlasse ich Vertrautes.

Vogelmiere

Meinen Kopf in deinen Schoß legen

In der Natur ist es ein Leichtes, sich eins zu wissen mit Allem. Zum Beispiel liegend in einem Bett aus Pflanzenpolster und Vogelstimmenwolken.

Berührt sein vom Ast der Trauerweide, den der Wind an meiner Wange vorbeistreifen lässt, von der Nässe des Regens, vom von der Sonne aufgewärmten Holz der Bank am Teich, von der krümeligen Erde des Komposthaufens, die durch meine Finger rieselt.

Auch der Mensch hat unendliche viele Möglichkeiten, sich menschlich zu wissen:

Berührt sein vom handgeschriebenen Brief, aus dem Postkasten genommen, aufgerissen und mit den Augen verschlungen, von der Lieblingsspeise, vor der Haustür abgestellt – eine liebe Nachbarin hat für uns mitgekocht, vom Vibrieren einer menschlichen Stimme ganz nah an meinem Ohr über mein Handy, vom flackernden Licht des Kerzenscheins am Abend vor dem Fenster, vom Johanniskrautöl, das langsam einzieht auf meiner Haut, von der Weichheit des selbstgestrickten Schals, vom Duft der frisch gewaschenen Bettwäsche, auf der ich raste. 

Es bricht doch nicht gleich die Welt zusammen, wenn 3 x 3 Wochen lang kein anderes Programm angeboten wird…?

Mimose (Schamhafte Sinnpflanze)

Nagel im Holz

Ich kenne jemanden, der stellvertretend für mich zwei Stunden lang einen Nagel anschaut. Der Nagel steckt in einer Palette. 
Das wirkt. 
Auf mich. 


Nenne ich es Müßiggang? Muse? Oder Vita Contemplativa? Von manchen wird für dieses Nichtstun das Wort Faulenzen bevorzugt. Das wiederum ist nicht gut angeschrieben. Sowohl gesellschaftlich als auch bei mir persönlich. Meine Wahrnehmung jetzt, nachdem mein Körper sich während einer Krankheit auf Existenzielles konzentriert, spür ich die tiefe Sehnsucht nach diesem Talent, die Sehnsucht danach, dieses Talent zu pflegen. Und ich mein damit nicht eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung, um danach noch effizienter sein zu können, sondern ein „In-Mir-Ruhen-Lernen“, ein Hören mit den Augen, ein Tasten mit den Worten, ein Atmen aus voller Lunge, ein Grübeln, ein Leben der Frage und letztendlich ein Vergessen der Frage…

Wie schmeckt Kaffee, der mir endlich wieder schmeckt?
Und wie wird wohl guter Wein schmecken, nach dem mich noch immer nicht gelüstet?
Wie lange komme ich ohne körperliche Berührung aus? 
Was ist das Wichtigste, heute?

„Die Frauen tragen leuchtend gelbe Mimosensträuße durch die Straßen von Venedig…“ lese ich in der Zeitung. Ich stell mir mich vor, mitten unter ihnen, in meinem roten Kleid. In meiner Werkstatt gerate ich  zur Zeit auf abwegige Gedanken.

Sporblume


Die Ohnmacht der Sprache

Ich finde keine Wörter. Stammelnd zu beschreiben, welche blutig unförmigen Gebilde sich in meinem Körper befinden. Befunden haben. Die Nachgeburten meiner zwei Kinder wurden damals nach deren Geburt im Garten vergraben bzw. im großen Kachelofen verbrannt. Staub zu Staub. Asche zu Asche. Die Kinder leben. Diese Scheingeburt birgt kein Leben in sich. Auch nicht offensichtlich Vergrabens- oder Verbrennenswertes. Was da ist, muss raus. 


Derart konzentriert auf Existenzielles, fallen Gedanken nicht ein, sie fallen über mich her: Das absolute Jetzt nimmt man innerhalb von 3 Sekunden wahr und KrankenpflegerInnen sollten unbedingt leise Sohlen an den Schuhen haben und eine leise Stimme im Nachtdienst. Geht eine Liebe, die ohne Lust ist, tiefer?! 11 Uhr, unglaublich, wie die Zeit vergeht. Sieh dir das Licht an! In den langen Gängen und Nischen. Milchig-grell. Prallt es ab auf dem grün-gelb-roten Linoleumboden. Allein die Wände strahlen warm-beige. Ein Krankenhaus ist ein uninspirierter Ort. Und Hölderlins Susette meint zu all dem: „Zu sein, zu leben, das ist genug.“

Meine Zimmernachbarin im Krankenhaus lenkt mich ab, sie erzählt von prachtvollen, tief roten Sporblumen in ihrem Garten. Ich kenne sie nicht, diese Blume. Jetzt erwächst das Bedürfnis , auch in meinem Garten dafür einen Platz zu finden. Später, wenn manches vorbei ist…

In meiner Werkstatt entsteht immer noch nichts.