25. Oktober 2016

Lieber Linhart!
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In Wien sehe ich hauptsächlich Menschen mit sauber geputzten Schuhen. Passend dazu in einer Kirche der Innenstadt: Gewänder des Übergangs. 2 überdimensionierte Kleider hängen nebeneinander vom Gewölbe herab. Eines in Weiß das andere in dunklen Farben. Da muss ich Vergänglichkeit denken. Der Anblick rührt mich, obwohl das alles gar nicht so zart daher kommt. Ein Gewand abstreifen, ein anderes überstreifen. Ich für meinen Teil verwandle mich am liebsten von der Geschäftigen zu einem Betthupferl. Ganz ohne Hintergedanken. Und dazu brauch ich nicht mal ungeputzte Schuhe.

Unlängst hörte ich einem renommierten Naturwissenschafter während eines Vortrages zu. Er meinte, wir brauchen eine neue Romantik: Das an der Welt sehen und in die Welt setzen, was ich für schön halte. Es ist erstaunlich für mich aus dem Mund eines Wissenschaftlers zu hören, was Sie mir schon seit Jahren versuchen begreiflich zu machen. Werd ich ihnen jetzt eher glauben?

Wohin führt Sie mein Gesichtsausdruck?

24. Oktober 2016

Lieber gefallener Linhart!

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Es hat lange gedauert, zu reagieren. Auf ihre Sommererlebnisse. Inzwischen überschreitet der Herbst seinen Höhepunkt und ich sehne den Winterschlaf herbei.

Die Natur ist zur Lesezeit nicht meine Freundin. Sie macht was sie will. Das ist doch unverschämt. Sie ist stärker als ich. Das halte ich für noch unverschämter. Ein handfester Konflikt baut sich da jedes Jahr zur Lesezeit laut und verlässlich auf. Das ergibt sich aus der Natur der Sache! Soll ich sie nur bewundern und mich ihr vorbehaltlos beugen?

Fast zeitgleich mit dem Erstarken dieses Konflikts, fülle ich einen Fragebogen zu meiner Lebenszufriedenheit aus und muss feststellen, dass sie ziemlich sehr hoch ist! Die Zufriedenheit. Will ich also doch sein, wo ich bin? Zwischen Sauerkraut einschneiden, Essigherstellung, Wandern durch Hohlwege und dem genauen Hinhorchen auf Resonanz?

Heute die Ihre.

22.9.2016

Der See nach dem Gewitter ist schöner denn je. Morgens richtet er sich seine Oberflächen neu. Hier kommt seine Vielschichtigkeit besonders zum Tragen.

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Liebe Plößnig!

Der Sommer ist seit gestern um 16.21h Geschichte. Ich habe ihn überlebt. Am 25.8. um 8.h irgendwas bestieg ich unter herrlichen Vorraussetzungen den Großglockner. Ein paar Stunden später im flachen Auslauf auf die Stüdlhütte brach sich mein linker, äußerer Knöchel ein Bein. Alles schier zusammenhangslos. Dennoch zerre ich definitiv von beiden Erinnerungen. Einerseits die Bilder vom Dach der Alpen. Majestätisch und frei der Glockner, gebunden und weiss der Gips.

Die Weinlese steht vor der Tür wie ein Fremder auf Heimatbesuch. Die Natur versucht Erfrierungs- und Wasserschäden in der Herbstsonne zu laben. Wie ich sehe, but gemischt. Alles wird gut, auch mein Bein.

2. September

In der Speisekammer.
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Der eingekochte Sommer.
Der eingetrocknete Sommer.
Angehaltenes Glück. Konservierte Erinnerung:

Herzbeere. Butterpilze. Schwarzer Holler. Eierschwammerl. Mädesüß. Almampfer. Preisselbeeren. Habichtspilze. Franzosenkraut. Vogelbeeren. Goldröhrling. Steinpilze. Saure Zucchini. Getrocknete Paradeiser. Und ganz wenig Dirndlmarmelade. Wir werden über den Winter kommen, sollte die Weinernte auch noch halbwegs gut im Keller landen.

Wie leicht ich mich begeistern kann!
Ihre satte Plößnig

 

31. August

Am See.
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Lieber Linhart – Will ich das?
Mich von der Muse küssen lassen, dass ich im Anschluss daran wieder mehr leisten kann?

Der See ist ein Spiegel. Zu jeder Tages- und Nachtzeit ein anderes Bild. So seh ich mich auch gern. Ab und zu uneinschätzbar. Vor allem mir selber gegenüber.
Ihre Plößnig

Anfang August

Lieber Linhart!
Haben sie Humor, wenn sie alleine sind, fragte einst Max Frisch.
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Sie sind so ernst in Ihrer letzten Anbahnung.
Sie wollten damit den geburtstäglichen Umständen gerecht werden?
Den denkwürdigen Augenblick würdigen?
In Dankbarkeit zurückschauen?
Den davonschwimmenden Fellen abgeklärt nachwinken ?
Manifestieren, dass sie mit halber Überzeugung glauben, die Midlifecrisis überwunden zu haben?

Mein Arbeitskollegen ist ca. 100 Jahre alt und mit ausreichend Humor ausgestattet. Er meint auch, es ist ernst. Dieses Leben. Und erst der Tod. Ihm vertraue ich diesbezüglich. Er hat eine vollkommen ungekünstelte Art, mit diesen Umständen befreundet zu sein.

So bleiben Ihnen also mindestens 50 Jahre, diesem Ernst noch näher auf den Grund zu gehen! Sie Glücklicher!

14. Juli

Liebe Plößnig!

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Das ist ein besonderer Tag. Vielleicht ist es global gesehen der europäischste Tag überhaupt? Am Sturm auf die Bastille ist aus meiner Sicht nur die Gewaltanwendung zu kritisieren. Gewalt ist scheiße. Aber Klassenunterschiede aufzuheben, das ist DIE europäische Idee schlechthin, oder?   Das Politische unserer Tage hat zuwenig Europa und damit meine ich nicht den, ich wiederhole mich, „scheiß“ Beamtenapparat, sondern den humanistischen Gedanken. Wissen Sie, wie lange ich das Wort Humanismus nicht gebraucht habe? Entsetzlich lange. Sie sind stark, weil Sie sich Ihrer Schwächen bewusst sind. Bitte bringen Sie Europa nach Hause. In flüssiger Form in den Kühlschrank von mir aus. Bleiben Sie mir treu, wenn auch auf Distanz.

Ihr Linhart

P.S.: Der ebenfalls am 14.Juli geborene Ingmar Bergmann hat gesagt: „Es gibt keine Grenzen, weder für Gedanken noch für Gefühle. Es ist die Angst, die immer Grenzen setzt.“

14. Juli 2016

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Lieber Herr Jubilar!
Aus gegebenem Anlass
und weil ich mit ziemlicher Sicherheit sagen kann, dass wir uns beim Thema „Streiten“ vorsätzlich und gründlich missverstehen (wollen).wechsle ich heute gerne meinen Blickrichtung:
Alles Gute zum Geburtstag!
Die vergangenen drei Wochenenden waren geprägt von jeweils einem Begräbnis und einem Geburtstagsfest. Alle sechs Feiern haben Spuren in mir hinterlassen:
Hab ich mich hinein begeben ins Zentrum. Ins Aktuelle. Ins Bleibende. In das, was war, ist und sein wird. Ich bin hin und hergerissen, ob ich das Leben als etwas ganz Großes oder etwas ganz Schlichtes ansehen will. Diese Dichte an Festen rückt mich in Richtung Bescheidenheit.

200 kg frischer Ton liegt im Keller.
Erde zwischen meinen Fingern.
Das wünsche ich Ihnen auch.
Fruchtbaren Boden.

Noch leben wir!
Ihre Plößnig

 

 

 

12. Juli 2016

Liebe Plößnig!~
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Ist Streit der Regen in einer Beziehung oder die Schlammschlacht?

Zum Streiten, wie Sie sich das lustvoll vorstellen, sind die meisten Männer, also hochgradig auch ich, einfach nicht geeignet. Es tut mir leid, aber schon der Vorlärm eines zünftigen Wickels löst bei mir eigentlich nur Umfahrungsstrategien aus. Was aber liebe Plößnig ist das Ziel eines Streites, in dem Sie sich so beheimatet fühlen und kann einer wie ich, der es scheinbar nicht gelernt hat zu streiten, kann solch einer gar lieben? Was ist wirklich das liebenswürdige am Streit, außer die Wärme, die bei Reibung entsteht?

Gut, ich muss mich bei Ihnen nicht dümmer stellen als ich bin, aber die Grenze zwischen Streitkunst und Gewaltausübung an der jeweils schwächeren Person ist fließend, launisch und extrem tagesverfassungsabhängig. Wie soll das ein Mann schaffen?

Auf der anderen Seite gehen Streits laut meiner spärlichen Beobachtung zwischen Männern oft gimpflicher aus, als in der Damenwelt. Sind wir da jetzt von der Natur bevorzugt, oder benachteiligt?

Sie sehen, wie lange ich mich über etwas unterhalten kann, wovon ich nichts verstehe. Und zum Schluss mein vielleicht untergriffigster, dilettantischster aber immer noch um ihre Aufmerksamkeit betteldnster Satz: Streiten Sie noch, oder leben sie schon?

Ihr unwürdiger Linhart

P.S.: Streiten Sie schon, oder leben Sie noch? (Klingt auch gut.)