Vor Silvester 2018

Liebe Plößnig!

Was machen Sie so an den Schlankerltagen? Vorgestern hatte ich das erste Mal wieder Hunger aufgrund manueller Arbeit und nicht vom ständigen Essen und Trinken. Ist es nicht typisch katholisch, dass man sich die Weihnachtstage schön säuft? Da kann keine andere Weltreligion mithalten.

Komisch, mich interessiert Nüsse, was vergangenes Jahr alles schief lief. Auch nicht die besonders guten Dinge, deren ich mich noch weniger entsinne. Mein Fazit lautet: Es war ziemlich lang ziemlich sehr heiss.

Gestern hörte ich ein sehr spannendes Hörspiel auf Ö1. In „The who and the what“ schreibt eine junge Muslima ein Buch über Mohamed und dessen Mutmaßungen, auch im sexuellen Bereich. Mit ihrer immensen Aufgeklärtheit bringt sie ihren Vater samt muslimischem Umfeld zur Verzweiflung. Wer zweifelt, liebt doppelt, ganz so wie ich es schon in einem früheren Brief an Sie vermutet habe.

30. Dezember 2018

Ist ein See
Sinnbild für
die Seele?

Weihnachten.
Der Ast mit den Fichtenzapfen hängt im Raum und verliert Samen. Waldstimmung in der Küche. Trotzdem kehre ich die ausgefallenen Samen jeden Morgen mit dem Besen weg.

Arnold.
Nach dreimonatiger Konzentrationsschwäche schaffe ich es endlich wieder, einen längeren, zusammenhängenden Text sinnerfassend (hoffentlich!) zu lesen. Schade, dass es der Autor nur bis Seite 56 durchhält, seine Selbstgefälligkeit nicht durch seine Gedanken scheinen zu lassen. Ich lese weiter. Eine Chance bekommt er noch. (Auch ich kann das gut, selbstgefällig sein.)

Weinwurm.
Ich verabrede mich mit einer Freundin zum Abendessen. Das Lokal wählt sie aus und überrascht mich: Ein kleines, altes Milchhaus, umgebaut zu einem gemütlichen Beisl. Ein paar wenige Tische und Stühle, aufgeteilt auf zwei Räume. Liebevoll eingedeckt, ein Teelicht brennt im Fichtenzweig. Das Wirtshaus-Ehepaar – zuständig für alles, der Mann serviert zuvorkommend und unaufgeregt, die Frau kocht österreichisch-griechisch. Die kleine Karte: Ouzo. Griechischer Bergtee. Muskat Otonell. Griechische Vorspeisenplatte. Linsensuppe. Kürbisgulasch. Wir bleiben bis zur Sperrstunde!

Wann suchen Sie mit mir wieder einmal ein unbekanntes Lokal auf, Herr Linhart?

27. Dezember 2018

Lieber Linhart!
Der Sinn von Adventkalendern liegt ausschließlich darin begründet, dass in den dunkelsten Tagen viele Türen aufgehen. Fenster zum Licht.

Ich denke heuer rund um Weihnachten viel nach über den süßen Schmerz. Er sucht mich heim dieser Tage, die reichlich gefüllt sind mit köstlichem Essen, gutem Wein und innigen Umarmungen. Ziemlich sicher haben wir uns schon einmal über dieses berühmte „Jetzt“ ausgetauscht, dessen Lebendigkeit mit der Intensität des Schmerzes zunimmt. Ich verrate Ihnen, viel vom sehr Schönen bereitet mir eine derartige Liegestatt. Hinter der 25. Tür versteckt sie sich, und hinter der 26. uswuswusw., hinter jenen Türen, die bestimmt sind für die besonders sehnsüchtig Wartenden. Für jene, die finden, wonach sie gar nicht suchen.
Der Moment wird zum hellen Ereignis. Sie werden ZeugInnen der Geburt eines Sternes.

3. Dezember 2018

Normaler Weise übe ich für diese Zeilen in einem Word-Dokument, heute schreibe ich ihnen das erst mal direkt ins All.

Ich weiss, was sie wirklich lieben. Adventkalender, stimmt´s ?
Mann und Frau schenken mir schon lange keinen mehr, weil ich  konsequent vergesse, diverse Türchen zu öffnen. Nicht, dass es schöne Adventkalender gäbe, aber hier fehlt mir die morgendliche Verspieltheit. Deswegen frühstücke ich auch kaum. Warum soll ich mir künstlich Hunger einreden zu dieser wertvollen Tageszeit?

Und dann soll ich noch an einem Kabarettprogramm zur Vorweihnachtszeit schreiben. Wie gefällt ihnen der Titel „Punschlos glücklich“?  Was ist das Wesen dieser Nichtfastenzeit, diese Konsum orientierte Hinführung ins Nichts, ins genau Unmenschliche?
Eine Zeit, die nur Kinder verstehen ist nichts für Erwachsene, gleichgültig, ob wir es nun sind oder nicht. Und wozu braucht ein Stern einen Schweif?

Also weil ich ein Adventkalenderverweiger bin und keine Ahnung von Weihnachten habe, deswegen unter-halte ich mich mit ihnen so gern.

Ziemlich sicher hilflos Ihr
Linhart

24. November 2018

Linhart, ich bin erleichtert, dass Sie wieder Fragen haben. Ihr Verstummen hat mich verunsichert…

Spinnen
Louise Bourgeois hat eine riesige Spinnenskulptur geschaffen und sie „Maman“ genannt. Man sagt der Künstlerin nach, dass sie Spinnen liebte.

Im Haus, in dem ich wohne, gehören Spinnen zu den vertrautesten Mitbewohnerinnen. Ich würde keine von ihnen töten. (Bei Ameisen bin ich da leider nicht so zimperlich.)

Es sind keine Papiertaschentücher zu finden. Ich greif auf meinen Stofftaschentuchvorrat zurück. Jenes, das zuoberst liegt, ich entfalte es und sehe ein gestopftes Loch. Netzartig und feinst gewoben mit Zwirn. Ich bin zu Tränen gerührt.

Unabhängig davon, ob Sie glauben zu spinnen oder nicht, meine Liebe ist etwas für Spinner, warum denn nicht?!

Zahnarzt.
Würde es eine vorangehende Gesichtsmassage erleichtern, den Mund ganz entspannt zu öffnen für meinen heiß gehassten Zahnarzt? Dabei macht er seine Sache ausgesprochen professionell und handwerklich perfekt. Ich finde es jedes Mal unverschämt übergriffig, mit welcher Selbstverständlichkeit in einem meiner intimsten Körperinnenräume herumhantiert wird. Da rede ich noch gar nicht vom Schmerz oder von der Angst vor dem Schmerz oder von der Qual, nicht schlucken zu können, nicht spucken zu dürfen, nicht davonlaufen zu können, …
Nach jeder Behandlung ist die Erleichterung darüber, es überstanden zu haben, dermaßen groß, dass ich dem Arzt voller Dankbarkeit einen warmen Händedruck schenke, quasi die Aufforderung für die nächste Begegnung im Behandlungszimmer: „Bitte, quäl mich!“

Tod
Wenigstens einen Menschen wünsche ich Ihnen, dem Sie sich vorbehaltlos anvertrauen. Das Gleiche gilt für mich. Dann ist Vieles gut.

19. November 2018

Liebe Plößnig!

Wie gehen Sie persönlich mit dem Tod um? In Ihrer Arbeit ist er ja Dauergast.

Und dann, was halten Sie vom Beziehungsmuster eines Shakespeare in „Viel Lärm um nichts“?
Das ganze Theater um den/die richtige/n Partner/in. Was ist das Dauerhafte in einer Beziehung: Glück oder Notwendigkeit? Das Wesen der Liebe ist doch deren Unvorhersagbarkeit.
Wenn ich jetzt behaupte, dass ich Sie liebe, geht es da mehr um den Spaß oder den Ernst der Lage?
Die Liebe erspart uns kurzfristig den Gedanken nach Freiheit, aber offene Beziehungen halten auch nicht länger.
Sie werden sich jetzt denken: „Er spinnt.“ Ist ihre Liebe etwas für Spinner?

M.

18. Oktober 2018

Berührung findet nur an der Grenze Statt
foto: T. Kulcsar

Ich: Mein Bruder hat eine neue CD zusammen mit Freundin und Freund herausgebracht. Da wir einen gemeinsamen, schon verstorbenen Vater haben, berührt mich naturgemäß „In Friedl seina“, eine musikalische Widmung an ihn, am meisten. Für 2:39 Minuten lang ist Vaters leichtfüßige Herzlichkeit aus hellen Tagen konzentriert, präsent. Tanzen möchte ich dazu und nicht denken.
Du: Ich komm heim, wenn’s dunkel wird.

Sie: Ich hab mir den Kopf verdrehen lassen, sodass mir schwindlig wird und das ganz ohne Musik. Wie federleicht!
Er: Kommst du erst oder bist du schon da?
Ist das zu vollmundig gesprochen
?

Linhart, verführen Sie mich doch an jenen Ort, an dem sonst nichts mehr von Bedeutung ist, und vergessen Sie nicht, mir ein Glas Wein einzuschenken.

 

 

17. Oktober 2018

Krieau

Mir ist zu Ohren gekommen: Sie verweigern – trotz stetiger Nachfrage– eine psychotherapeutische Begleitung und bevorzugen stattdessen regelmäßige Ausflüge nach Wien, an ungeahnt unbekannte Orte, an Plätze der Unsicherheit oder der Verwirrung. Glauben Sie, sich damit aus den Abgründen der eigenen Liebesgeschichte freizuspielen, freizutanzen, freizuträumen?

Wussten Sie, dass sich Krieau von Kriegsau ableitet – es gab da einen langjährigen Territorialkampf zwischen dem Stift Klosterneuburg und der Stadt Wien, wem wohl dieser Flecken gehört. Sie, also doch mit großen Hintergedanken, die Krieau vorgeschlagen, um Beziehungskämpfe auszutragen?

Und – wie war es?

Was halten Sie in weiterer Folge von einem Ausflug ins Museum der gemeinsamen Irrtümer, elf Sekunden vor jedem Bild verweilend, nicht länger?!

12. August 2018

Plößnig!

Vorweg: Sie leben ja richtig wieder. Nachweg: Ich auch. Ich habe ihren Mann und  – wie er sich selbst definiert  – „Urlaubschaffeur“ dazu bewegen können, mir seine Sicht der Italienreise zukommen zu lassen. Also hier exklusiv ihr Mann:

Bassano del Grappa im August 2018

Wenn der Morgendunst über den Monte Grappa aufsteigt, kündigt sich ein heisser Tag an. Tropennächte sind hier sowieso all inclusive. Im Krieg gegen Österreich hat es einmal so stark geregnet, dass die Schlussoffensive vertagt werden musste. Es hätte nie aufhören dürfen zu regnen.

Die Stadt am südlichsten Zipfel der Kalkalpen durchfließt der kühle 174 km lange Brenda  Keine Ahnung, warum ich mir diese Zahl merke. Sein Mündungsstück wurde einst zum luxuriösen Kanal für den Landadel umgebaut. Endstation Markusplatz, Venedig, samt Künstlern und Komödianten. Heute beherbergt der Fluss (hauptsächlich in Städten) auch Ratten.

Bassano, wörtlich „vor dem Berg“, entspricht den italophoben Romantikansprüchen durchwegs. Die Burg anno 998, auch diese Zahl lässt sich nicht aus meinem Kopf löschen, Palladios Renaissancebrücke, Franziskanerkloster – heute das schwer attraktive Stadtmuseum, Piazzas, Gassen und Häuser, alles wie hingemeißelt und kulinarisch perfekt umspielt. Einziger Störfaktor sind der Auto- und Motorradverkehr. Die Innenstadt liegt quasi am goldenen Schnitt. Nur am Freiheitsplatz, bestückt mit ausschließlich historischen Bürgerhäusern, erscheint mir als einzig nicht gelungene Fassade jene der Barockkirche.

Ein Abstecher führt in die Weinwelt um Valdobbiadene. Aus der Distanz erscheint es wie Bacchus‘ Sommerlager oder der Olymp in Weingartengestalt. Wenn du dann in den Weingärten stehst, verbrennt dir die göttliche Sonne das Haupthaar und der geschätzte winterliche Arbeitsaufwand neigt sich aufgrund der fehlenden Flachstellen ins Unmenschliche. Noch entsetzlicher stelle ich mir hier nur mehr die Mühe von Radfahrern vor, deren es aber dennoch weit mehr gibt als Winzer. Im Übrigen empfinde ich den Marketingexportschlager Prosecco geschmacklich weit hinter dem Wein, aus dem er gemacht ist. Das Gesetz, dass Massenexport die Seele der Weinregion zerstört, geht hier recht schön auf. Der eine Winzer, den ich beim (von meiner Begleitung inszenierten ) Verkaufsgespräch kennengelernt habe, scheint ein freundliches, sehr fleissiges Muttersöhnchen mit weissem Audi Coupee zu sein. Die Familie im klassischen Sinn funktioniert in Italien noch recht gut. Vor allem im Negativbereich. Gute Mütter töten (im Sinne von entmündigen) ihre Söhne noch bei Lebzeiten. Der Winzer hat dennoch Hoffnung auf eine bessere Zukunft und baut aus. Unterstützt von der EU mit € 85.000 Förderung, nicht zu verwechseln mit einem Darlehen.

Dass ich mich bei meiner schönen Begleitung durchgesetzt habe, jeweils am Anfang UND am Ende der Reise einen Abstecher zum Meer zu machen, grenzt an ein Wunder. Chaffeursbonus sozusagen. Es gibt da einen Trick, um einen Ort wie Caorle auch für den Individualkulturmenschen zugängig zu machen: Blick in Richtung Süden. Dann Anbringung einer Scheuklappe an der Ostseite des Sonnenhutes. So wird jener Teil des Strandes mit den aufgestapelten menschlichen Ölsardinen unsichtbar und der Blick auf das Meer entspannt wie auf einer historischen Phototapete. Einzig beim Schwimmen gehen muss ich mich an den Massen kurz vorbei schummeln, aber nach ca. 200 Metern gen Horizont fühle ich mich plötzlich so alleine wie zu Hause in der Badewanne. Auch das Rückenschwimmen bei der Landkehr hilft.

Zurück ins Veneto. Die Schönheit und Traurigkeit der Landschaft ergänzen sich. Meine österreichische Seele, zutiefst dem Meerzugang beraubt, fühlt sich hin und wieder fremd in der europäischen Heimat. Ein Luxusproblem angesichts der Zwangsvölkerwanderungen rundum.

Auch ich finde neben meiner Frau keinen vernünftigen Zugang zum „1. Architekten“ Palladio, dem ein gigantischer Bauaufschwung in der Renaissance gelungen ist. Der Einsatz der Antike in Ehren, aber den Sexappeal der Gotik erreichen diese Werke einfach und kompliziert nicht. Das schönste Haus, das ich in Norditalien zu Gesicht bekam, ist der romanische Stephansdom von Caorle, samt schiefem Glockenturm daneben. Schlicht, schnörkellos und freizügig, wie es im Katholischen nicht immer der Fall ist.

So. Ich danke Ihrem Gatten für seine netten Ausflüge und -führungen. Seine Worte klingen irgendwie so, als ob ich selbst dabei gewesen wäre. Also danke für’s Mitfahren, Ihnen beiden.

Liebe Grüße: Der andere Linhart.