15. Juni

20160611_142828
Traurig sein ist das Eine.
Immer traurig sein bedarf wohl einer näheren Betrachtung.
Dieser Tage möchte ich mich dagegen wehren. Das viele Licht, die vielen Sonnenstunden bestärken mich.

Ich wehre mich zum Beispiel dadurch, dass ich auf Kurzreisen gehe. Mir Passau ansehe und mich darüber freue, wie sich drei Flüsse quasi an einem Punkt unaufgeregt aber nachhaltig vereinen. Ich wehre mich dadurch, dass ich mich ein Wochenende lang von Menschen bekochen lasse, obwohl die das gar nicht müssten, die es tun ohne viel Aufhebens und mich noch dazu in interessante Gespräche über die Mentalität des Innviertlers und überhaupt verwickeln. Und ich wehre mich dadurch, dass ich Streit suche. Da, wo er sehr leicht zu finden ist. Ich weiß, DAS gefällt Ihnen überhaupt nicht.

Streit ist doch eine wunderbar leidenschaftliche Ausdrucksweise des Suchens! Da ist noch nichts geklärt – vieles offen – auf dem Tisch und mit großer Emotion garniert…Quasi ein Höhenflug der Gefühle. UND: beim Streiten werden viele Fehler gemacht, ohne Rücksicht auf Verluste…das darf man doch sonst fast nirgends mehr…Welch großer Liebesbeweis, wenn ich mit jemandem streite :)!

2. Juni 2016

Liebe Plößnig!

Ich bin oft außer mir und funktioniere einfach. Die großen Gefühle haben kleinen Alltagswelten Platz gemacht. In der Schule, in der ich unterrichte, haben scheinbar alle Hofer gewählt. Niemand denkt nach. Rundherum werden Prüfungen aufgesagt, aber niemand denkt nach. Die Köpfe sind voll und die Herzen blutleer.

Das Theater hält mich Oberwasser. Ich habe zwar zu wenig Zeit dafür, aber eine Scheinwelt zu konstruieren, ist eine erstaunliche Realität!

Plößnig, ich mag ihre Traurigkeit. Sie denken so schön nach.

30. Mai

Linhart, wo sind Sie?
sHakerl
Jetzt sieht es nach Sommer aus und es ist licht und ich wandle von einer Feier zur nächsten…hätte also allen Grund, mich des Lebens zu freuen. Nein, ich leide still vor mich hin. Langsamen Schrittes und müden Auges.

Aktivitäten, die in solchen Fällen normalerweise helfen (Sauna, Marmelade einkochen, Spazierengehen) , helfen jetzt nicht, weil es gar nicht so weit kommt. Dabei handelt es sich nun nicht um irgendwelche zufälligen Lebensprobleme, sondern um das Problem des Lebens selbst.

Dabei hatte ich mir vor ungefähr zwei Tagen fest vorgenommen, nicht mehr zu jammern. Nicht über das überraschungsarme Dorfleben, nicht über die vielen Hofer-WählerInnen, nicht über die Volkskrankheit „Angst“, die jede irrationale Handlung rechtfertigen soll,…

Und jetzt dieser Tiefschlag.

Es ist heiß. Jede halbe Stunde seh ich nach, ob sich endlich die Gurkensamen zu einer annehmbaren Pflanze entwickeln. Die Wäsche ist gewaschen und weht im Wind. Eine Portion Pasta mit Knoblauchsauce würden jetzt genau passen.

30. April

Lieber Linhart.

ich bin kurz angebunden.
Ich lass mich in meinem Tagesablauf ständig unterbrechen. Meistens von meinen eigenen Gedankensprüngen.
2016-05-14 11.58.53
Erstens: Wanda ist cool!
Zweitens: Das weich gekochte Frühstücksei vom geschenkten Sulmtaler Hendl, das im Nachbarwald lebt, genossen mit Ihnen am Tisch –
Guten, sagt er
Morgen, sagt sie. (B.Brecht)
Drittens: In Japan werden Zahnärzte schon gebeten, die Zähne schräg zu stellen, des Charmes wegen, dass einem aus dem Verwilderten entgegenströmt
Viertens: Gut, dass wir die Wahl haben!

Bleiben Sie guter Hoffnung!
Ihre Plößnig

 

11. April 2016

Verehrte Plößnig!

2016-04-06 11.38.34
Wauw! Sie schreiben an einem Roman (über mich auch?)! Ihr Erzählfluß hat sich gesalzen. Sie haben das Meer als Ratgeber. Ich bin beeindruckt. Glücklich, der an ihrer Seite reist.

Ich war im Koma. Also in der Beschäftigung mit Beistrichen und Pausen, nur das Ungesagte füllt ein Theater mit der Wirklichkeit. Und im All war ich auch. Das Internet ersetzt die Seefahrt, gewürzlos. Leuchttürme sind zu Handymasten verkommen.

Ich liebe den Nachspann. Im Kino, so wie in der Kirche das letzte Orgelstück, ein Stadion, das sich leert und das Fluchtachterl beim Heurigen. Übrigens: Ihre neue Homepage findet Beachtung, das wünsche ich den Weinen auch.

Ich schreibe in mein Tagebuch einen Gastkommentar. Zu spät gekommen, zu mir selbst. Da tanzt das Gefühl die Sehnsucht aus dem Lot.

Ich glaube, ein außergewöhnlicher Mensch ist einer, der sich an die Welt nicht gewöhnen kann. Einer, oder eine mit entdeckungshungriger Seele. Berühmtheit interessiert ihn oder sie nicht im Geringsten.

Ich zweifle an der Liebe. Nur so lässt sie sich konservieren.

 

27. März 2016

Weinincrevenica
Lieber Linhart!
In Lovran zu einem Urlaubsende kommen.
Noch die Klänge der Osternachtgesänge im Ohr. Die kroatische Langsamkeit beim Psalmodieren liegt mir im Blut. Vertrautes klingt mit, obwohl ich kein Wort verstehe. Der Karfreitag in der Kirche Lovran hingegen ist entrückt. Eine grotesk tröstliche Stimmung entfaltet sich unter der Kuppel der kleinen Kirche. Die uralten, zusammengeflickten Mauern der Kirche trennen die idyllisch touristische Außenwelt vom Innen, das mich wie ein schauriges Theaterstück in seinen Bann zieht. Für einen Moment lang. Ein hölzerner Christus im Grab, eingebettet in ein Meer von Lilien und Grünpflanzen; eine Frau murmelt – wohl ein Gebet – leise vor sich hin, legt ihre Hand auf das tote Holz, streicht zärtlich darüber, ein paarmal,…zwei rotgewandete Ministranten, die wohlgelaunt dem Priester nachrennen, der ein Schaugestell mit den Leidenswerkzeugen aus der Kirche trägt. Das wunderschöne Deckenfresko der Apsis nimmt meinen Blick gefangen, zieht ihn hinauf in ewig gestrige Zeiten. So ist der Ausnahmezustand des Glaubens an das außergewöhnliche Raumgefühl gebunden.

Das Achtel Weißwein beim Wirt gegenüber der Kirche schmeckt hervorragend.

Was kostet ein Kinderwagen?
Sind Kissing Spots eine gute Idee als Belebung der Sinne für ein Kaff wie Niedersulz?
Wohin mit den vielen eigenen Bedürfnissen nach „Sinnerfüllung“?

Wo war die Liebe?

Das Museum der Stadt Rijeka betört durch einen zurückhaltend Höflichen. Er kassiert das Eintrittsgeld. Er beschreibt den Weg durch die Ausstellungen. Nach einer Stunde des Betrachtens und des Schauderns vor allem über jenen Teil, der den vergangenen Bürgerkrieg einzufangen versucht, bin ich müde – nicht zuletzt der fremden Sprachen wegen. Ich trenne mich von meinem Mann und setze mich in der Eingangshalle auf eine Steinstufe. Dem Höflichen gegenüber erwähne ich meine geistige Müdigkeit. Er bringt mir eine schriftliche Übersetzung der Ausstellung. Und lächelt scheu. Er möchte mich munter halten.

25. März 2016

katze
Lieber Linhart!
An der Grenze zwischen Slowenien und Kroatien werden unsere Pässe angeschaut. Sowohl von der Slowenischen als auch der Kroatischen Polizei. Im März 2016. Das ist befremdlich – obwohl ich diese entwürdigende Situation ja von frühen Reisen kennen sollte.
Ikea und H&M hingegen sind grenzüberschreitend allgegenwärtig. Brauchen die auch Pässe?

Seit Tagen bin ich mit jemandem wie Ihnen in der Kvarner Bucht unterwegs. Vielleicht stimmt das auch gar nicht und ich wünsch es mir bloß. Weil „Küste“ und „Meer“ so vielversprechend klingen. In meinen Ohren jedenfalls. Vor Kurzem herrschte hier noch Krieg. Handgreiflicher Krieg. So richtig mit Waffen und Toten und großer Weltpolitik. Diese Welt ermüdet mich. Ich möchte nichts weiter als Kaffee trinken, zu etwas späterer Stunde dann einen Aperol Spritz und keine anstrengenden Gedanken an Effektiven Altruismus oder Menschenrechte oder meine kleine privilegierte Welt verschwenden. Die Anschläge in Brüssel weisen mich wieder darauf hin, dass es sich schon vor längerer Zeit ausgeträumt hat.

In Lovran läuft mir eine Katze zwischen die Füße. Sie ähnelt unserer Katze daheim derart, dass ich mich für einen kurzen Moment brüskiert frage, wie sie das denn geschafft hat, uns bis hierher zu folgen. Natürlich verwerfe ich diesen Gedanken dann gleich wieder. Mein schlechtes Gewissen ob meiner bescheidenen Tierliebe hält nur so lange an, bis ich um die nächste Ecke biege und plötzlich fünf streunende Kätzchen erblicke.
Ein perfekter Malvasier im Glas. Sonne am Himmel. Ein Korb voller Brot und eine Schale mit frischem Knoblauch-Olivenöl-Petersilien-Gemisch. Mir gegenüber sitzt ein sympathischer Österreicher J. Und dann ertappe ich mich bei dem Gedanken, einem frisch- freundlichen Kellner eine ausschließlich wirtschaftliche Absicht zu unterstellen. So weit hab ich es kommen lassen mit meinem Misstrauen. Das Trinkgeld soll hoch ausfallen!

23. März 2016

Rijeka
Lieber Linhart!
Es ist relativ kalt. Es regnet leicht.
In einem Kaffeehaus in Rijeka nehme ich mir gern die Zeit, um an unser Fest im Sommer zu denken.

Dieser 49. Geburtstag im vergangenen Dezember löst vermehrt Fragen aus.
Sie sagen, nehmen Sie das Älterwerden doch nicht so ernst.
Das scheint mir der beste weil entspannteste Zugang zu den Begleiterscheinungen meines Zustandes. Es doch alles nicht so ernst zu nehmen.

Fragte mich jemand nach meinen glücklichsten Jahren, so fallen mir die ersten 7 ein. Also jene vor dem Eintritt in eine staatliche Bildungsanstalt.
An 3 dieser kann ich mich nicht wirklich erinnern. Da gibt es nur ein paar Bilder in Form von Erzählungen oder Schwarz-Weiß-Fotos. Zum Beispiel von einer Szene auf der Alm: Ich ein gutes halbes Jahr alt, sitzend auf einem Hackstock, den Blick in den Fotoapparat gerichtet, zu Füßen des Hackstocks ein Hund mit hochgestelltem Schwanz, hinter mir das sich nach oben hin öffnende Tal.

Und dann, wenn meine eigene verklärte Erinnerung einsetzt sehe ich einen jungen Menschen der sich frei, stark und voller Tatendrang in dieser damals sehr einfachen Welt bewegt.

22. März 2016

blickauszimmer
Lieber Linhart!
Ich muss bis Opatja fahren, um zu bemerken, wie sehr ich mich darüber freue, wenn ich freundliche Leute treffe.

Mit wem bin ich da unterwegs?

Den großen Gesten trauen.
Ich wär so gern sympathisch, berühmt und zufrieden. Was soll ich streichen, wenn ich eines von den dreien streichen müsste? Ich finde diese Wünsche zudem nicht unverschämt.

Wie gern die Kroaten ihre Autos waschen.

Jetzt wird das Meer ruhig. Ich hab angenommen, dass in einer Bucht Ebbe und Flut nicht zu erkennen sind. Darin hab ich mich getäuscht.

Unser Zimmer mit einem ersehnten und dennoch überraschend weitem Ausblick auf das Meer hinaus, hält viel Orange für uns bereit. Es stimmt uns freundlich und fröhlich. Nun schon zwei Tage lang. Wer ist dieser Mensch, mit dem ich nun schon seit Jahrzehnten Tisch und Bett teile? Der eigenen Bequemlichkeit halber oder der unauslöschbaren katholischen Sozialisation wegen. Oder gibt es diesen Menschen wirklich, mit dem ein langes geteiltes Leben zum Fest wird? Was, wenn sich das richtig anfühlt? Kein Jammern mehr?

Eine ungewöhnliche Freundlichkeit auch beim Zimmervermieter. Mit warmherzigem Enthusiasmus zeigt er uns: zuerst seinen Vater Rado, der gut Deutsch spricht und erklärt, dass er wohl nicht mehr allzu lange zu leben hat. Mit seinen schon etwas über 80 Jahren. Er fährt einen Renault …ohne Servolenkung.
Er zeigt uns unser Studio, die technischen Details der Klimaanlage, die Zugangsdaten für den W-Lan Anschluss und meint dann abschließend, wenn wir es ruhig haben möchten, wie Simon & Garfunkel es in The Sound of Silence beschreiben, müssten wir weiter nach Dalmatien fahren…

21. März 2016

kissingpoint
Lieber Linhart!
Das fällt mir ein nach einer Infoveranstaltung zum Thema Dorferneuerung.
MEIN DORF.
Wer nachdenkt über das Leben im Dorf, sollte das nicht zu oft machen. Es gibt da nämlich nicht viel zu sagen. Entweder man lebt da oder man lebt da nicht. Daran gibt es nichts schön zu reden. Ich leb da. Mit einer Unterbrechung von 4 Jahren, hab ich Zeit meines Lebens in Dörfern gelebt. Ich kenn mich – was das betrifft – also aus.

Du kannst dich, wenn du in einem Dorf lebst, täglich darin einüben, wie es ist, einsam zu sein. Ich mein damit diese tiefgehende Einsamkeit, die sich vor allem darin zeigt, dass du glaubst, dich könne sowieso niemand verstehen. Ja, das zeigt sich da – Innen und Außen!

Und du triffst in einem Dorf, wenn du Glück hast, außergewöhnliche Menschen. Die Platzhirschen und Unvoreingenommene. Viele Misstrauische und ein paar wenige Vertrauensselige. Die hohe Kunst besteht darin, die jeweils richtige Dosis an Distanz und Nähe zu wahren, um dazwischen nicht aufgerieben zu werden. Das klingt anstrengend, ist anstrengend und gar nicht lustvoll. Die Lust ist allerdings hier nicht Gegenstand der Betrachtung.

AUßERGEWÖHNLICHE MENSCHEN.
Was zeichnet einen außergewöhnlichen Menschen aus?
Er ist schwer auszuhalten.
Er denkt anders als ich selbst.
Er lebt vielleicht anders als ich selbst.
Er tickt anders, als ich selbst.
Ich finde außergewöhnliche Menschen sehr anziehend und gleichzeitig strengen sie mich bald einmal an, weil sie durch das Anderssein einen großen Teil an Fremdheit und Unsicherheit hervorrufen.

Was mich in letzter Zeit wirklich ärgert: Menschen, die sehr, sehr viel Geld besitzen. Menschen, die rohe Gewalt als die richtige Lösung ansehen. Menschen, die noch mehr Geld haben und sich dadurch die Welt kaufen möchten. Und dann: Ich kann das mit der Dankbarkeit nicht mehr hören.

UNSER DORF.
Was unserem Dorf am meisten fehlt, ist der Sinn des Ganzen. Der ist uns abhanden gekommen. Oder, der ist dem Dorf abhanden gekommen. Da gibt es jeweils eine kleine Menge von Individualisten, Kapitalisten, und Traditionalisten. Das ist eben der Preis der Freiheit. Gott sei Dank. Allerdings steht im Raum, dass sich gerade etwas ändert. Obwohl wir das gar nicht so möchten, weil sich nichts ändern sollte, weil es uns doch sehr gut geht

Ändern möchten das höchstens ein paar Gelangweilte oder ein paar Neugierige.
Unser Dorf braucht etwas Lustiges.
Etwas, worüber alle einmal so richtig herzhaft lachen können.

Die Politik und die damit verbundene überbordende Bürokratie versklaven uns.
In Niederösterreich soll bis in die kleinsten Dörfer die Landespolitik mit ihren langen Armen hineinwerkeln und alles kontrollieren. Private Initiativen gibt es so gut wie gar nicht mehr, weil die Regeln, wie man etwas gestalten darf, so eng gesteckt werden oder sich so schnell verändern, dass du mit jeder Initiative einem Kleinkriminellen gleichst. ich warte schon darauf , dass bald private Feiern wie Geburtstage oder Hochzeiten mit Geschenkesteuern, Hygienevorschriften und Qualitätskontrollen konfrontiert sein werden. Das wird keine 5 Jahre mehr dauern…